WEILL UND HENZE

19.30 Uhr, Musik-Performance im Bauhaus Dessau / Theater
"WEILL UND HENZE"
Konzeption, Realisation, Gesang: Sigune von Osten (Sopran)
Musikalische Leitung: Alicja Mounk
Ensemble Musica Temporale

Für das Weill - Fest mit dem Thema "Fluchtpunkt Amerika" wurde ein Programm entwickelt, das die sog. Hass-Liebe der Europäer zum Sehnsuchtsland Amerika - Land des krassen Kapitalismus einerseits und der scheinbar grenzenlosen Freiheit und des Optimismus andererseits - vor Augen und Ohren führt: Beginnend mit dem lockeren "Alabama Song" aus "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" erklingt in Folge herbe Kritik an den Machenschaften der Ölkonzerne und dem Rohstoff Erdöl als heißumkämpftem Inbegriff kapitalistischen Wohlstands. "Das Lied von den braunen Inseln" nach Lion Feuchtwangers Stück "Die Ölinseln" und der Petroleum Song "Die Muschel von Margate"  wurden von Weill 1928 komponiert. Sätze wie "...da wurde aus Blut Benzin" und ..."Petroleum heißt unser Vaterland, dafür zerlöchern wir uns das Fell"... haben gerade heute wieder beklemmende Aktualität. 

Wohl in schlechten Ruf geraten, auch wegen des hohen Erdölpreises – wieder wie heute – ließ ein Ölkonzern für die Weltausstellung 1939 in New York einen Puppentrickfilm zu Werbezwecken drehen. Dem Betrachter wird zunächst vor Augen geführt, wie traurig die Welt ohne Erdöl aussehen würde und wie gern das Öl wieder fließen würde, wenn man nur gewillt ist zu zahlen, und auch der Fiskus sich zurücknimmt. Und wer schrieb die Musik zum Werbefilm? Kein geringerer als Hanns Eisler, der für sein antikapitalistisches Denken bekannt war. Zu welchen Verrenkungen wurden manche Künstler im Exil getrieben, um finanziell zu überleben! Indessen scheint Eisler seiner eigenen Gesinnung treu geblieben zu sein, denn eine unüberhörbare Ironie liegt u.a. in der Gesangstimme beim Satz "...that he deserves this little sum, hm, hm ...". Die Songs erklingen zum ersten Mal live beim Weill-Fest.

Das darauf folgende Lied "Und was bekam des Soldatenweib" von Weill bildet Zäsur und Schnittpunkt in vielerlei Hinsicht.

Die öffentliche Premiere von Charlie Chaplins Filmszenen aus "The Circus" mit der live gespielten Originalmusik von Hanns Eisler eröffnet den zweiten, heiteren Teil.
Charlie Chaplin, der eng mit Hanns Eisler befreundet war, erteilte ihm 1947 den Auftrag für eine Filmmusik zu seinem poetischen Stummfilm "The Circus" (1928) und Eisler schrieb eine bezaubernde sensible Musik zu sechs Szenen. Die Filmmusik blieb Fragment, da Eisler 1948 als eines der ersten Opfer des McCarthyismus (auch Chaplin traf es wenige Jahre später) zur persona non grata erklärt wurde und das Land verlassen musste. Seine bis dahin ausgearbeitete Musik zum Film stellte er jedoch zu seinem Septett Nr. 2 zusammen, während Chaplin noch 1970 eine Neufassung von "The Circus" mit einer eigenen Musik herausbrachte. Die sechs Szenen mit der Originalmusik von Hanns Eisler live gespielt sind beim Weill-Fest erleben.
Weills Song "Stay well" aus "Lost in the Stars" nimmt die leichte Melancholie auf, mit der die letzte Szene im Film endet und führt den Zuhörer zum Broadway. "There's nowhere to go but up" aus "Knickerbocker Holiday", eine typisch amerikanisch-optimistische Lebenseinstellung und "Wie lange noch" bilden den Übergang zur endgültig heiter-leichten Szene: "Lieder und Tänze" von Hans Werner Henze nach Texten von Hans Magnus Enzensberger. Stationen einer kubanischen Kurtisane, "...Kunst in ihrer billigsten, aber auch vitalsten Form: als show business, Zirkus, Kolportage, Unterhaltung" (Hans Magnus Enzensberger). Schauplätze, örtliche und zeitliche Distanz liefern – im Sinne Brechts – die Projektionsfläche für die Gegenwart. Henze und Enzensberger berufen sich mit ihrem 'Vaudeville' unmittelbar auf das Songspiel "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", mit dessen "Alabama Song" das Programm begann.